Giovanna & Sawyer

"Was?" Ich sah ihn verwirrt an. Als ob das mit den Haaren nicht schon seltsam genug war.
"...Wie du wirklich heißt?", wiederholte ich.
Was meinte er damit? Also..das Sawyer da Silva nicht sein echter Name war, war jetzt klar, aber warum ausgerechnet jetzt? Anscheinend wollte er mir das auch nicht unbedingt sagen. An seinem Blick könnte ich erkennen, dass er genauso überrascht, wenn nicht sogar erschrocken war, wie ich.
Eine Weile sah ich ihn so an, ohne weiter nachzufragen, bis ich bemerkte, dass wir am Ende der Gasse waren.
"Liiiinks!", rief ich, um Sawyer dazu zu bringen, in die andere Gasse abzubiegen.
Ich hatte zwar keine ahnun, ob das der richtige weg war, aber die Richtung führte schonmal ungefähr dahin, wo wir hinsollten.

Meine Haare schienen es ihm ja wirklich angetan zu haben. Zumindest hielt er sie die ganze Zeit. Naja, sie waren außergewöhnlicher als andere. Wie oft bekam man auch in Florenz rote Locken zu sehen, wenn nicht auf Gemälden? Die Einzige, die ich kannte und deren Haare meist mehr bewundert wurden, als meine, war Claudia. ...aber das war Fiamettas Katze.
"Nein, nein. Ich halte dich schon nicht für verrückt.", äußerte ich. Ich hatte ja auch eine Art Zweitnamen angenommen. Nur, dass dieser Name nicht der Name einer toten Person war. Die tote Person verlieh mir den Namen. Aber ich konnte meinen Namen nicht einfach verraten.
Einerseits würde Sawyer mich noch für verrückt halten. Alecto war immerhin nur ein Mythos. Niemand glaubte es wirklich..oder konnte zumindest die Wahrheit beweisen. Ich fragte mich, warum mich Menschen nicht schon darauf angesprochen haben, warum ich nicht den Fall der Furie löste.
Andererseits würde er dann auch gleich wissen, wer ich bin und was ich getan habe. Vielleicht würde er dann nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Eher unwahrscheinlich, da wir uns eigentlich ziemlich ähnlich waren, aber ich wollte es nicht riskieren.
"Am Ende der Gasse noch einmal links und dann rechts.", warf ich ein.
"Ich werde dich einfach weiter Sawyer nennen. Dann ist es unwahrscheinlicher, dass irgendwer deinen echten Namen erfährt."

Bestürzt sah ich ihn an, während ich seinen Herzschlag an meinem Ohr hören konnte. Ich setzte an, um etwas zu sagen, wusste aber nicht genau was. Natürlich würde es mir etwas ausmachen, wenn er sich umbringen würde und vorhin hatte ich doch schon Interesse an seiner ganzen Geschichte gezeigt, warum sollte er mir dann jetzt egal sein?
Obwohl...normalerweise würde mir mein Tod wirklich nichts ausmachen. Er würde mich sogar freuen. Ein Mörder weniger auf den Straßen. Aber irgendwie war es bei James...Sawyer anders. Er nahm ja eigentlich nur Aufträge an, die ihm die wahren Verbrecher erteilten und er hat früher auch nichts anderes als ich gemacht. Er hat eine persönliche Vendetta gegen die Mörder seiner Familie geführt. Verdammt, was machte ich da? Ich suchte doch nur nach Gründen, ihn nicht zu töten. Warum?
Irgendwie wollte ich Sawyer gerade nicht verlieren. Er war einfach nur verwirrt und brauchte Hilfe. Ich könnte ihm doch helfen...aber ich wusste immer noch nicht, was ich sagen sollte.
"Was...nein. Ich meine doch!", stammelte ich vor mich hin.
"Natürlich interessiert mich das. Du kannst doch nicht einfach so verschwinden. Es gibt doch sicher noch Menschen, denen du wichtig bist, oder?"

Er kam also auch aus dem Ausland. Wir hatten anscheinend mehr gemein, als ich dachte. Warum ich mich so um ihn kümmerte, konnte ich mir trotzdem nicht erklären.
"Aber du..." Ich hatte wieder keine Ahnung, was ich sagen sollte. Ich wusste ja nicht einmal selber, warum ich vorhin nicht einfach weggelaufen bin. Oder jetzt. Jetzt hatte ich ja die Möglichkeit, zu fliehen. Ich konnte ja auch wieder selbstständig stehen, aber Sawyer stützte mich trotzdem noch. Er machte sich ja anscheinend auch Sorgen um mich, warum sollte ich mich nicht um ihn kümmern?
"Ich..argh!" Ich fuhr mir kurz durch die Haare und sah zur Seite.
"Ich weiß es doch selber nicht. Du..sollst einfach nur hier bleiben. Es gibt doch sicher noch eine bessere Lösung als Selbstmord."

"Naja ich hasse es eben we-" Ich stockte, weil ich auf einmal zu lachen begann, als Sawyer mir durch die Haare fuhr. Was fand er an ihnen so besonders? Ich fragte mich, wie er wohl auf Claudia reagieren würde (Das heißt, solange sie ihn nicht angreifen würde). Immerhin war sie sehr flauschig. Fiametta verbrachte die meiste Zeit damit, Claudia zu streicheln, wenn sie nicht irgendetwas las, oder mit mir durch die Stadt ging.
"Was zur Hölle wird das?", fragte ich, immer noch lachend.
Dabei vergaß ich völlig, was ich eigentlich gerade sagen wollte. Ich wollte ihm irgendwas erklären, aber konnte mich nicht mehr genau daran erinnern, weil er mich die ganze Zeit ablenkte, indem er meine Haare so begeistert durchwuschelte.

"Warte erstmal, bis du Claudia triffst. Ich wette, du würdest ihre Haare auch toll finden.", lachte ich, während Sawyer weiter mit meinen Haaren spielte.
Irgendwie seltsam, dass mich genau dieser Mensch noch vor ein paar Minuten angegriffen hat. Jetzt wirkte er wieder so glücklich - er strahlte förmlich - und es machte mich glücklich, ihn so zu sehen. Hoffentlich konnte ich ihn wirklich vom Selbstmord abhalten. Ich hasste es, wenn Menschen starben und ich ihnen hätte helfen können.
"Das klingt zwar irgendwie seltsam - immerhin hättest du mich vorhin fast umgebracht...aber ich mag dich auch."

"Wer ist Claudia? Deine Schwester, Freundin oder so etwas?", erkundigte ich mich und sah sie dabei sanft an. Sie schien glücklich zu sein und das ließ mein lächeln nich breiter werden. Irgendetwas hatte diese Frau an sich und ich blickte seid langem wieder in die Zukunft, statt in die Vergangenheit. Als sie meinte, dass sie mich auch mochte, konnte ich nicht anders, fiel ihr um den hals und drückte sie an mich. Es tat für diese nähe zu ihr zu spüren und am liebsten hätte ich sie niemals mehr losgelassen. War das, was ich tat noch auf freundschaftlicher Ebene? Ich wusste es nicht wirklich, da ich keine ehrfahrungen mehr hatte. Das einzige, was ich jetzt wollte war, dass ich sie noch etwas in meinem arm halten konnte und ich flüsterte leise neben ihrem Ohr "Ich bin froh, dass du mich magst, hattest du eine Abneigung gegen mich, so hätte ich mit großer Wahrscheinlichkeit Trauer verspürt", wobei ich leicht über ihr Haar strich und meine Hand in ihrem Nacken liegen liess

Ich zischte leise, als Sawyer mich umarmte und dabei die Bisswunde an meinem Kiefer berühre. Die plötzliche Umarmung überraschte mich etwas, aber ich erwiderte sie und drückte ihn an mich Anscheinend war ich gerade wirklich die einzige person, die sich um ihn kümmerte und die ihn so akzeptierte, wie er war. Allerdings verstand ich mich selbst immer noch nicht. Warum bin ich nicht einfach weggelaufen? Warum habe ich mir von ihm helfen lassen? Schließlich war er wirklich ein verrückter, der mich vorhin fast getötet hätte.
Ich schmunzelte wieder, als ich hörte, dass er sich freute. Vielleicht könnte ich ihm ja wirklich helfen, wieder normal zu Leben. In den letzten Momenten erwies er sich ja schon als hilfsbereit und freundlich. Vielleicht lagen seine ausraster ja auch nur an den Menschenmengen. Wenn ihn eine person, der er vertraute, begleitete, würde er möglicherweise nicht so einfach Anfälle bekommen.
"Ach ja..", flüsterte ich zurück, während ich versuchte, ein Lachen zu unterdrücken.
"Claudia ist eine Katze."

Ich errötete leicht, als Sawyer mich auf die Wange küsste. Ich wusste ja kicht, dass er diese Art von mögen meinte...vielleicht interpretierte ich auch einfach zu viel. Kaum zu glauben, dass er mich vorhin noch umbringen wollte. Es war auch seltsam, dass ich schon so gut mit ihm auskam, obwohl wir uns gerade erst kennengelernt haben und er mich dann gleich angegriffen hat.
"Warschei- Was zur Hölle, Sawyer?!", rief ich überrascht.
Ich erschrak erst, als er mich an die Wand drückte, in der Angst, dass er wieder einen Anfall hatte, warum auch immer, und war etwas erleichterter, als sich herausstellte, dass er mich doch nicht umbringen wollte, mehr oder weniger. Ich konnte anschließend einfach nicht anders, als loszulachen, während ich vergeblich versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien.
"Was zur..? Was wird das? Hör auf!" Zwischen meinem Lachen konnte man kaum verstehen, was ich sagte.
Immer wieder krümmte ich mich vor Lachen und versuchte seine Attacken auf irgendeine Weise abzuwehren, aber er hielt mich so fest, dass ich mich kaum bewegen konnte. Jetzt war ich schon wieder an einer Wand..mit dem Unterschied, dass Sawyer (hoffentlich!) nicht die Absicht hatte, mich zu töten und mir nicht unbedingt in den Kiefer biss.

"Was soll ich denn bitte machen?" Ich konnte immer noch kaum reden, weil ich so sehr lachen musste.
"Sehe ich etwa aus, als könnte ich in meiner Situation.." Ich brach kurz ab, weil ich vom vielen Lachen kaum noch Luft hatte. "als könnte ich gerade irgendwas machen."
Wie sollte ich ihn auch zum Aufhören bewegen? Ich hatte erstens keine Idee, was ich tun sollte, und zweitens hielt er mich so fest, dass ich mich nicht bewegen konnte. Wenn er so weiter machen würde, kämen wir nie zuhause an.
Zum Glück hielt er mich nicht ewig so. Für einen kurzen Moment ließ er mich los und ich nutzte die Gelegenheit sofort, um mich zu befreien. Naja zumindest hätte ich das getan, wenn ich vom Lachen nicht so außer Atem wäre.
Fast wäre ich wieder zu Boden gesunken, jedoch konnte ich mich noch rechtzeitig an Sawyer festhalten. Ich sah zu ihm auf, lachte ihn an und wartete kurz, bis ich wieder genügend Atem gesammelt hatte.
"Was sollte ich bitte machen?"

"'Mich befreien, oder so etwas in der Art'", wiederholte ich. "Wie hätte ich das denn machen sollen, wenn du mich festgehalten hast?"
Sawyer schien mir aber nicht zuzuhören. Er war wieder zu sehr mit meinen Haaren beschäftigt. Ich hab noch nie einen Menschen gesehen, der so sehr von Haaren fasziniert war. Vielleicht sollte ich ihm irgendwann eine Locke abschneiden, damit er nicht ständig an meinem Kopf hängen würde. Langsam wurde es nämlich gruselig.
Langsam stellte ich mich wieder richtig hin und ließ Sawyer los. Anschließen sammelte ich die übrigen Haare, die er gerade nicht in der Hand hielt und legte sie über meine rechte Schulter. Die restlichen Strähnen, die mir noch im Gesicht hingen, strich ich mir hinters Ohr.
"Lass doch mal meine Haare in Ruhe.", lachte ich, als ich bemerkte, dass Sawyer immer noch eine Strähne hielt.
Langsam wurde mir diese Nähe irgendwie unangenehm, aber ich konnte ihn jetzt nicht einfach so wegschubsen. Das wäre viel zu unhöflich und dann müsste ich mein Verhalten noch irgendwie erklären. Außerdem könnte er wieder ausrasten. Als er dann noch sagte, dass ich ihm etwas über mich erzählen sollte, wurde ich etwas unruhig. Er hat mir zwar auch seine Geschichte erzählt, da war es schließlich verständlich, dass er auch etwas über mich wissen wollte, aber ich konnte ihm doch jetzt nicht einfach meine gesamte Lebensgeschichte erzählen.
Ich fuhr mir noch einmal durchs Haar. Was sollte ich ihm erzählen? Der Part mit der Furie war schon mal ausgeschlossen. Wenn ich das ausließ, musste ich ihm ja auch nicht von meiner Freundin aus Praro erzählen. Vielleicht sollte ich einfach mit meiner Familie anfangen.
"Also...", begann ich. "Meine Familie ist auch aus dem Ausland, so wie deine. Naja zumindest die von meinem Vater. Mein Vater kommt aus Österreich, aber meine Mutter kommt aus der Toskana uuuund...ich bin mit meinem älteren Bruder in Tirol aufgewachsen. Als ich älter war, beschloss ich dann zu meinem Onkel nach Monteriggioni zu reisen, bis ich weiß, was ich so mit meinem Leben anfange und als ich angekommen bin, habe ich eine Zeit bei meinem Onkel gelebt und mein Geld als Jägerin verdient, bis ich dieses kleine Mädchen, Fiametta, traf. Sie wollte mich unbedingt begleiten...Ähm, du musst wissen, ich bin in Monteriggioni schon einigermaßen bekannt, weil ich der Wache manchmal bei ihrer Verbrecherjagd geholfen habe. Dann hat Fiametta mir von diesem Assassinen, der sich irgendwo in Florenz herumtreibt, erzählt. Und..jetzt bin ich hier."
Ich glaube zwar nicht, dass er meine gesamte Lebensgeschichte hören wollte, aber hier hatte er alles. Kurz und knapp zusammengefasst. Naja zumindest fast alles.

Ich wich etwas zurück, als Sawyer seinen Kopf senkte. Soweit man das zurückweichen nennen konnte, denn viel Platz zwischen und der Wand herrschte vorher nicht. Jetzt klebte ich schon regelrecht an der Wand, da ich unnötigen..oder eher unerwünschten Körperkontakt vermeiden wollte. Erst recht an meinem Kopf. Ich wollte ihn eigentlich so wenig wie möglich bewegen oder mit etwas in Berührung bringen, denn der Schmerz von meinem Kiefer zog sich schon langsam bis zu meiner Schläfe. Fiametta musste das wirklich so schnell wie möglich verarzten.
Sawyer schien wieder so bedrückt. Ich sagte nichts. Wahrscheinlich erinnerte er sich wieder an irgendetwas und ich wollte keinen Anfall erzwingen. Naja zumindest gab er sich viel Mühe, normal zu wirken, dachte ich mir, als er mich anlächelte.
Ich konnte nicht anders, als zurückzulächeln, hatte aber keine Ahnung, wie ich auf seine Bemerkung reagieren sollte. Vielleicht ein einfaches 'Danke', dachte ich mir im Nachhinein, aber jetzt herrschte erst einmal so eine unangenehme Stille. Ich wollte sie irgendwie unterbrechen, aber ich wusste immer noch nicht wirklich, was ich sagen sollte. Vielleicht sollte ich einfach auf unser eigentliches Ziel hinweisen.
"Wir...sollten vielleicht bald weitergehen.", sagte ich also, leicht zögernd. "Es wird langsam spät...Fiametta wundert sich sicher schon, wo ich bin."

"Du kannst mich doch hier nicht einfach alleine lassen.", rief ich und packte Sawyer am Arm, um zu verhindern, dass er losging. "Du siehst doch wie es mir geht."
Flehend sah ich ihm ins Gesicht. Ich hasste es, zurückgelassen zu werden und gerade war er die einzige Person, die mir hier irgendwie durch die Gassen helfen könnte.
Was hatte er überhaupt vor?
"Kann...kann ich nicht wenigstens mitkommen?", bat ich. Wenn ich es mir so recht überlegte, ging es mir eigentlich zu schlecht, um mehr zu laufen, als nötig war. Aber gerade wollte ich einfach nur alles dafür geben, nicht alleine in dieser Gasse zu bleiben.

"Was zur Hölle, Sawyer?!", entfuhr es mir, als mir die Augen verbunden und ich von Sawyer durch die Gassen geführt wurde.
Mich wunderte es etwas, dass ich kaum Schmerzen verspürte, als er mir das Tuch umband. Wahrscheinlich war ich um die Verletzung schon so taub geworden... Ich musste eigentlich so bald zu Fiametta, dass ich mir keine Ablenkung leisten durfte. Aber zugegeben fand ich Sawyers ganze Aktion auch etwas süß, weshalb ich bei dem Gedanken daran schmunzeln musste.
..Was dachte ich da nur?! Dieser Mann hätte mich vorhin fast umgebracht und ich begann, Freundschaften zu schließen. Vielleicht sollte ich ihn einfach vergessen, sobald ich Zuhause angekommen war, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass daran auch etwas falsch wäre.
Ich seufzte.
"Habe ich dir eigentlich jemals gesagt, dass ich Geheimnisse hasse.", lachte ich und versuchte meinen Kopf halbwegs in Sawyers Richtung zu drehen.
Eigentlich hasste Geheimnisse nicht wirklich. Ich selbst hatte ja auch welche, so wie jeder andere Mensch wahrscheinlich auch. Ich hasste es nur, wenn mir Leute etwas verheimlichten.